Montag, 30. September 2013

Roman: Wally Lamb – Die Musik der Wale


Der Roman schildert das Leben des jungen Mädchens Dolores mit all seinen schweren Prüfungen. Ihr Vater ist ein Ehebrecher, die Mutter erleidet eine Abtreibung und wird darauf in die psychiatrische Anstalt eingewiesen. Mit diesen Ereignissen beginnt aber erst der lange Weg von Hauptfigur Dolores.

Bücher wie „Die Musik der Wale“ gibt es zuhauf. Manche nennen diese Leidensgeschichten, noch ohne sie überhaupt gelesen zu haben, „große Literatur“, mit gefällt der Begriff „Schicksalsbiografie“ dagegen besser. Im Stile von Charles Dickens, Khaled Hosseini, Willy Russell & Co breitet auch Wally Lamb die (tragische) Biografie einer fiktiven Figur aus.
Der Schlüssel zum Erfolg bei dieser Art von Roman liegt meiner Ansicht nach in den Charakteren. Nicht nur der Protagonist muss dem Leser durch seine Beobachtungen, Eigenheiten und Erlebnisse ans Herz wachsen, sondern auch die Figuren, die ihm auf dem Weg begegnen. Als Beispiel sei bloß Charles Dickens erwähnt: Die meisten Leser werden sich sicher noch besser an Mr. Micabwer und Uriah Heep erinnern als an David Copperfield selbst.
Das größte Problem an den Nebenfiguren aus „Die Musik der Wale“ ist aber, dass diese selten auftauchen und schnell wieder verschwinden. Dolores begegnet in ihren einzelnen Lebensabschnitten vielen Menschen, diese sind aber immer nur sporadische Begleiter.  Dafür ist die Charakterzeichnung durchaus gelungen, wenn auch ein anderes Ergebnis erreicht werden möchte als in verträumteren Büchern. Wally Lambs Figuren kommen nämlich reichlich unsympathisch und dafür umso authentischer daher. Diesem Stile folgend gibt es kaum herzerweichende Momente.
Ausgerechnet Hauptfigur Dolores ist eine der unliebsamsten Figuren. Zwar hat sie im Verlauf der Handlung viel zu leiden und einige Konflikte auszustehen, jedoch möchte sich nie eine innige Beziehung zu ihr einstellen. Denn Dolores ist teilweise richtig fies zu ihren Mitmenschen und lügt sich durch die Welt.
Ich möchte die gewagte These aufstellen, dass weibliche Leser Dolores jedoch gern haben werden. Denn diese werden ihr sicherlich nachsehen, wenn sie willkürlich und gemein handelt, da die Welt ihr gegenüber schließlich ziemlich fies ist. Diese Nachsicht erwartet der Autor von allen Lesern; Zumindest mir geht es aber so, dass ich Dolores eben nicht alles nachsehen kann. Wenn Person A und Situation B schlecht zu mir sind, warum sollte ich dann böse auf Person C sein? Es handelt sich generell um ein Buch für eine weibliche Zielgruppe, geht es doch um Themen wie Fettleibigkeit, Abtreibung, Mobbing, Vergewaltigung und Ehebruch.
Im geradlinigen Plot gibt es keine Reprisen oder überraschenden Wendungen der Marke: „Ach deswegen hat Person F vor 20 Jahren so gehandelt. Hätte ich das gewusst!“ Sprachlich bewegt sich Wally Lamb auf einem durchschnittlichen Niveau, dabei sollte solch ein Roman auf dieser Ebene eigentlich mehr bieten. 

Dolores wirkt zwar wenig sympathisch, dafür aber unglaublich real. Dies ist dann auch der größte Verdient des Romans. Wer Lust auf eine moderne Schicksalsbiografie ohne rührende, dafür aber mit umso authentischeren Momenten hat, sollte mal einen Blick hineinwerfen. Für Freunde von rührender und literarischer Kost der Marke Dickens ist „Die Musik der Wale“ dagegen nicht zu empfehlen.

6.0/10

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